Das Spiel mit den Klischees.

Um ehrlich zu sein, war ich noch nie auf einer Tattoo Convention. Zumindest kann ich mich nicht erinnern. Wenn ich also schon mal auf einer war, dann hat sie keinen nachhaltigen Eindruck bei mir hinterlassen.

Über Ostern war Tattoo Convention in Hamburg. Wohl die einzige Convention dieser großen Stadt und jetzt war ich schon mal neugierig, das zu sehen.

Um aber nicht allein dort rumzueiern, schloss ich mich der Bande von Tattoo Freestyle an. Da Tattoo Freestyle dort keinen Stand hatte, war es also Freizeitvergnügen für die Crew.

Es ist der sonnige Ostersonntag, als wir uns treffen. Erstmal kurz Schlange stehen und durch den Sicherheitscheck – Taschenkontrolle. Dann noch ein bisschen warten, bis man durch die Kasse ist, die ersten Bekannten werden gesichtet und die Meute teilt sich auf. Ein paar rauchen erstmal eine, die anderen dürsten, die nächsten zieht es rein, zu sehen, was es alles so an Ständen gibt.

Ich bin beim letzten Schwung dabei. Verlieren kann man sich eigentlich nicht wirklich, die Markthalle in Hamburg ist nicht so groß.

Das ist also DIE Tattoo Convention in Hamburg. Alle zwei Jahre findet sie statt. Und meines Wissens immer in der Markthalle. Für das Rahmenprogramm auch ideal mit der Bühne. Für das, worum es meiner Meinung nach eigentlich geht – das Tätowieren und Präsentieren von Studios – eher ungeeignet. Stand klebt an Stand, es ist stickig und recht dunkel. Viele der Tätowierer arbeiten wie Bergarbeiter mit Kopflampen. An jedem Stand liegt vorne ein Skizzenbuch zum Rumgrabbeln und schauen, was die Herren und Damen so bieten. Zwischendrin Schmuckstände, Piercingschmuck, T-Shirts, Sea Sheppards, Klamotten und Taschen, Bücher über Tattoos, Ramsch und Tattoofarben- und nadeln.

Überall ist es eng, es ist ein Schieben, Durchrutschen und wirklich Muße und Muse kommen nicht auf. Die, die gerade tätowiert werden, kauen gelangweilt Kaugummi, hören Musik oder bearbeiten ihr Handy. Es fließt Bier und auch wenn es jetzt sprachlich passen würde: Blut fließt nicht wirklich.

Wir gehen in die obere Etage. Hier ist es noch stickiger und es ist wie unten auch reichlich unübersichtlich wer wo wie. Einen Plan habe ich auch nicht gesehen. Wir schieben uns also weiter durch, haben aber auch schnell ein Bedürfnis nach Raum und Luft. In der Eingangshalle treffen wir auch wieder auf einige von der Bande und noch andere Bekannte.

Wenn man sich das Publikum so anschaut, was kommt und geht, so sind es meist recht normale Menschen. Einige Rocker, ein paar Old School Rockabillies, einige Prolls, aber auch viele langweilige Normalmenschen. Uns sehe ich als Kreative an. Von denen gibt’s auch ein paar, aber sie verstecken sich recht gut. Meist dann doch hinter einem der Tische zum Tätowieren.

Tätowierungen kriechen aus dem ein oder anderen Kragen, spitzen aus den ein oder anderen Ärmel, zeigen sich absurd in dem ein oder anderen Gesicht, aber eins ist klar: Hier werden hauptsächlich Klischees erfüllt. Rocker- und Prolltypen. Die wilden Tätowierten.

So sieht es dann auch die Presse wie MOPO „Geile Häute, krasse Leute auf der Tattoo-Convention in der Markthalle“ oder BILD „Corinna sticht ins Auge. – Wird sie Miss Tattoo?“.

Das Schöne, Künstlerische bleibt für mich in der Dunkelheit der Markthalle verborgen. Es findet sich in den Gesprächen mit den Bekannten der Crew oder im gegenseitigen Austausch. Ich frage ungläubig nach, ob das wirklich die einzige Convention in Hamburg ist, und es ist so.

Ich für mich weiß, dass ich zu dieser Convention nicht nochmal hingehen muss. Zu eng, zu gedrängt, zu viel Dunkel. Die Käfighaltung der Tätowierer, die dazwischen gepressten Verkaufsstände… das ist nicht meine Welt. Es ist nicht das, was ich am Tätowieren interessant finde. Die einzelnen Künstler. Die verschiedenen Stile. Wie Kunst unter die Haut gebracht wird. Die Convention in der Markthalle hat für mich keine Atmosphäre und wirkt trotz sicher hygienischer und sauberer Arbeit nicht ästhetisch. Unter diesen Umständen sich für die Ewigkeit an ein Motiv binden? Never.

Ein Bild, was mehrmals an diesem Nachmittag auftaucht, bleibt mir im Gedächtnis. Ein junger Mann, ca Anfang 20 läuft mit nacktem Oberkörper, sichtlich frisch gestochen mit großem Motiv durch die Menge. Begrüßt Freunde, holt sich Bier… Es ist unfassbar. Man sieht die durch die Verletzung geschwollene Haut, die Linien der Nadel wie tiefe Kratzer über seinen Oberkörper. Die Farben verwischt. Keine Folie, keine schützende Schicht von Creme. Er. In der Menge mit diesen Wunden.

Später sehe ich ihn wieder, sehe den Stand und den Tätowierer, es geht weiter. Ich weiß nicht, wer da nicht durchhält. Der Typ die Schmerzen oder der Tätowierer, der den Kunden immer nur partiell erträgt. Als er wieder aufsteht, kann ich erkennen das es ein abstrahierter Wolfskopf auf seinem Oberkörper wird. Vom Stil her schön. Dennoch verstehe ich es nicht, als er – frisch feucht abgewischt, wieder farbverschmiert – wieder seinen Gang vom Stand in die Menge antritt. Wohl wieder Bier holen. Das Tattoo wird noch ewig dauern.

Und wie war das? Man sollte keinen Alkohol getrunken haben vor dem Tätowieren?
Hier gelten wohl andere Regeln. Und wenigstens füttern sie die Klischees von Journalisten und Kameras.

Es ist schade. Tätowieren ist so viel mehr. Ob sie gesellschaftstauglich ist, darüber lässt sich streiten. Es gibt immer noch in den Köpfen fest sitzende Vorurteile, die auch durch Berichterstattungen wie von MOPO oder düstere Conventions auch gefüttert und bestätigt werden.

Es ist Zeit, das Tätowieren aufzuteilen. Klar gibt es die düsteren Rocker, aber es gibt auch die, die Tätowieren mehr als Kunst ansehen. Vielleicht auch als Philosophie.

Schade, dass im Tor zur Welt, wo auch Tattoo-Legenden wie Herbert Hoffmann ihr zuhause hatten, diese Bandbreite noch nicht öffentlich präsentiert wird.

Herbert Hoffmann selbst schildert in einem Interview von 2007 das Mehr beim Tätowieren:

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