Posts Tagged ‘Captain Ahab’

Was ist das? – Getting used to you

Montag, Oktober 10th, 2011

Eigentlich wollte ich nicht, dass du das erste mal im Büro gesehen wirst. Büro. Das heisst dort, wo ich in letzter Zeit mein Geld überwiegend verdiene. Aber es ist nicht irgendein Büro. Es ist vielmehr eine Kanzlei. Zu dem Zeitpunkt, als du Frischling bist, noch eine Bürogemeinschaft von Steuerberatern, Rechtsanwalt und Wirtschaftsprüfer. Und allein anhand der Adresse in nobler Lage der Innenstadt ist klar, dass dort Tataus eher kritisch gesehen werden – können.

Es ist also ein warmer Tag Ende Juni, die Steuerberater und ihr Team sind am Kisten packen für den bevorstehenden Umzug und du hast mitten in deinem Abheilungsprozess nur eins gewollt. Luft. Der schützende Ärmel verlässt dich also. Es dauert eine Weile, bis du als erstes der Office-Managerin ein irritiertes Gesicht entlockst „Was ist das? Was hast du da?“ – ich bin noch unsicher. „Einen Kreis.“ und gehe weiter. Der Anwalt, der derzeit viele meiner Stunden beansprucht, runzelt die Brauen und fragt nur „Ist das irrevesibel?“ – „Ja, ist es.“ – „Okay. Gut zu wissen.“

Den meisten fällst du eher von hinten auf, so ganz offensichtlich bist du ja nicht, auch wenn du dich nicht versteckst. Und dich verstecken geht mit kurzen Ärmeln nicht. Und soll ja auch nicht. Aber du bist eben noch so neu und deswegen muss ich auch erstmal für mich rausfinden wie das geht mit der Selbstverständlichkeit, dich zu haben. Für immer.

Als sich die Mannschaft in der Küche versammelt, wirst du Thema. Von „Warst du betrunken oder dein Tätowierer?“ mit nahezu verständnislosem Kopfschütteln über „Das haste doch selber mit Edding draufgemalt“ bis hin zu „Und was bedeutet das?“ ist alles geboten. Ich merke, dass dieses gefragt werden uns mehr und mehr zusammenwachsen lässt. Dadurch dass du Luft wolltest, muss ich mutig sein, dich zu zeigen. In doch recht konservativer Umgebung. Wobei man das nicht falsch einschätzen darf. Steuerberater ist wirklich ein kreativer Beruf. Er erfordert Flexibilität.

Über 4 Jahre hinweg konnte sich die Mannschaft auch schon an ihre „etwas andere“ Abendsekretärin gewöhnen und hat die Kreativität meinerseits und auch die andere Art der Kommunikation schätzen gelernt.

Du spaltest meine Umgebung.

Die wahrlich konservativen, starren Geister irritierst du. Sie können dich nicht verstehen, mich noch viel weniger und denken sich vielleicht „Eine Tätowierung ist ja schon schlimm, aber dann noch so etwas Unbildliches, so ein Gekrakel…“ Ich weiß es nicht.

Ganz anders ist es, wenn du von meinen Artgenossen gesehen wirst. Die mit kreativem Geist, die eine künstlerische Art haben, die mögen dich. Den Gestaltern, Designern, Textern, Autoren…

Sie hinterfragen dich nicht groß, sind eher von deiner perfekten Unperfektheit fasziniert. Da wird in erster Linie die Grafik bewundert. Du als Kunstwerk. Deine Ausarbeitung. Du regst Gedanken an. Weckst auch Sehnsüchte. Es wird von Ankern, Segelschiffen und Landkarten gesprochen, die unter die Haut gehen sollen. Auch von Family-Gang Tataus. Und das Problem der Gestaltenden, was sie wohl immer haben: Die Entscheidung für die Endgültigkeit und deren Platzierung.

Die Monate ziehen ins Land und wir gewöhnen uns mehr und mehr aneinander. Bei Sonnenschein schütze ich dich unter einem 50+ Film, und immer wieder schaue ich dich an, den Ellbogen verdreht, weil es doch irgendwie manchmal immer noch so unwirklich scheint, dass du jetzt für immer bleibst. Aber es ist so. Und das ist toll.

Mama & Papa

Schon während des Tätowierens fragt Ahab, ob meine Eltern Bescheid wissen. Ich hatte ihm erzählt, dass eins ihrer größten Bedenken bei meinem Neuseelandurlaub Herbst letzten Jahres war, dass ich mit einem Gesichts-Moko wiederkomme. Wohl weil ich so begeistert davon erzählt hatte. Aus Neuseeland kehrte ich ohne Tatau heim.

Und jetzt wissen sie es nicht. Alt genug bin ich ja auch. Als ich es  aufgeregt und stolz Mama die Tage vor und nach dem Stichtag erzählen will, passt es immer nicht. Entweder die Gespräche landen ganz woanders oder sind zwischen Tür und Angel.

Meine Eltern und mein großkleiner Bruder mit Freundin kommen das erste Augustwochenende. Das Wetter ist schön. T-Shirt Wetter.

Man muss schon sagen, dass meine Eltern mit Jahrgang 1936 und 1940 definitiv eine andere Generation sind. So bin ich auch aufgewachsen – was Tattoos anbelangt. Tattoos haben Verbrecher und Asoziale. Dass es davon Ausnahmen gibt, haben meine Eltern zwar durch die Freunde meines großkleinen Bruders auch gelernt, aber die tiefverankerte Einstellung ist nun mal vorhanden. Meine Eltern sind aber nicht nur gesellschaftsorientiert, sondern sie haben auch alle ihre 3 Kinder gewissermaßen streng und doch tolerant erzogen. Uns Bewusstsein für Freiheit und Verantwortung mitzugeben, haben sie meiner Meinung nach erfolgreich geschafft.

Und jetzt also. Das Nesthäkchen, das einzige Mädchen: tätowiert. Meine Mama sieht es als erste. „Was hast du da?“ – „Ich bin tätowiert“ – „Hach Kind, nein, wirklich?“ – „Ja, wirklich. Das bleibt jetzt für immer.“ Papa, durch die Konversation vom Koffertragen abgelenkt: „Was?“ – „Ich bin tätowiert.“ Beide schauen aus der Nähe auf meinen Ellbogen, den ich vorsichtig auf Augenhöhe bringe. Papa glaubt es noch nicht ganz. „Das ist doch draufgemalt.“ – „Nee, das ist mit Tinte und Nadel unter die Haut.“ Er schüttelt lächelnd den Kopf mit seinen 75 Jahren und der entsprechenden Lebensweisheit und auch Gelassenheit. Ich glaube, er ist auch von der Präzision fasziniert, schließlich haben Klischeetattoos im Kopf dicke, ausgeblichene, wacklige Linien. Jaja, damals…

Mama seufzt nochmals. Ich erkläre beiden das warum, meine Begeisterung. Und Mama bleibt zwar etwas nachdenklich, dafür ist aber wenig später eins der ersten Fotos, was sie am Hamburgwochenende macht, von dir. In Close-Up. Als ich es merke, wie sie dich fotografiert, muss ich lächeln.

Du gehörst jetzt zur Familie.

Inzwischen sind wir seit bald 4 Monaten zusammen und du bist selbstverständlich geworden. Ich mag es, wenn du auffällst und wenn ich auf dich angesprochen werde. ich habe eine Palette an Antworten auf Fragen über dich. Je nach Laune.

Und wenn du nicht auffällst, ist auch gut.

Wir haben zueinander gefunden. Sind eins. Und bleiben es.

under my skin…

Samstag, September 17th, 2011

First day.


Du bist frisch. Und ich sorge mich um dich. Als du der Folie befreit und heiß gewaschen bist, tupfe ich dich vorsichtig trocken. Du brennst, aber du scheinst keine Wunde zu sein. Einzig geschwollen die Haut, die von Nadel und Farbe durchdrungen. Ich lasse dir erstmal etwas Luft.

Später nehme Ich die Heilsalbe – etwas zu viel – und ziehe deine Linie nach. Vorsichtig. Behutsam. Solange bis ich wieder aus dem Haus gehe, bleibst du frei. Vorsichtig gleitet der frische Stoff meiner grauen Hoodiejacke über dich. Behutsam schlängele ich dich in den Ärmel der Regenjacke. Wir gehen raus.

Du bist präsent, ohne präsent zu sein. Ich spüre dich. Ich weiß, dass du da bist, auch wenn es unwirklich scheint. Wir fahren U-Bahn, fahren S-Bahn. Ich ziehe dich nahe an mich ran, dass dich ja keiner anstossen kann. Die verregnete Altonale ist unser erstes Ziel. Kurz einen Ingwertee trinken, es ist stickig und warm drinnen und du willst wieder an die Luft. Ich gebe sie dir.

Holger sieht dich und ist begeistert, schaut genauer hin. Will deine Linie nachfahren, aber ich schütze dich „Nein! Das ist doch ganz frisch!“ Er ist begeistert. Von deinen Linien. Von deiner gewollten Unperfektheit, die perfekt ist.

Du schlüpfst wieder in den Ärmel und wir machen uns auf zum Zwohören nach Wilhelmsburg. Findus spielt. Als wir ankommen, ist der Gig schon in vollem Gange. Ich freue mich, Ahab und Bernd wiederzusehen. Holger macht Ahab ein Kompliment für dich.

Nach einem schönen Abend kommt die erste Nacht mit dir. Ich wasche dich nochmals, und infolge wieder zum Schutz die Heilsalbe. Du störst mich nicht in der Nacht, dennoch schlafe ich unruhiger, schließlich will ich dich nicht verletzen.

Healing days.


Auch wenn ich dich zuhause immer nackt trage, einzig unter dem Schutzfilm der Salbe, so will ich dich im Büro noch nicht zeigen. Einzig meine befreundete Kollegin, die von deinem Termin wusste, bekommt dich zu sehen. Sie ist über deine Schlichtheit überrascht.

Am Abend läuft grad „I got you under my skin“ im Radio als du das nächste mal gesehen wirst. Ich grinse breit.

Fast jeder lange Ärmel den ich die nächsten Tage trage, bekommt einen Fettfleck von der Bepanthen. Macht nix, kann man waschen. Wichtiger ist, dass es dir gut geht. Das Prozedere wird zum Täglichen. Erst Händewaschen, dann dich waschen. Dir Luft geben, dich später dann wieder in den Schutz der Heilsalbe hüllen. Nach ein paar Tagen beginnst du zu jucken. Ich bin zum Glück niemand, der an Wunden kratzt und mich wundert auch fast, dass du keinen sicht- oder spürbaren Schorf gebildet hast. Du machst dich gut. Aber das Jucken nervt. Auch wenn es zeigt, dass du heilst. Am etwa zehnten Tag ist es warm im Büro und zudem werden Umzugskisten gepackt. Ich trau mich erst nicht, dich zu entblößen, aber Ly macht die klare Ansage: „du hast es dir bewusst an dieser Stelle gesetzt, also steh dazu.“ Es dauert ein bisschen, bis dich jemand sieht. „äh, was ist das?“ Und auch Fragen wie: „Geht das wieder weg?“ begutachten dich. Du wirst in dem doch eher konservativen Umfeld nicht ganz verstanden. Bist zu abstrakt. Bei einer gemeinsamen Pause in der Küche erkläre ich dein Konzept. Es verbündet uns und zeigt den anderen, das wir zusammen gehören.

Du polarisierst, wirst du gesehen. Viele verstehen deinen Minimalismus nicht, andere finden dich zu groß aber du weckst auch Faszination.

Du heilst. Spürbar. Das Jucken nervt wirklich. Um dem Ruhe zu geben, ziehe ich manchmal hauchdünne Cremelinien über dich.

Nach etwa 2 Wochen häutest du dich. Der leichte Schorf, den du gebildet hattest, verliert sich mehr und mehr. Nie reiben, immer nur trockentupfen. Oft frage ich mich, wie es die Tätowierten machen, deren Tataus an schwer erreichbaren Stellen platziert wurden.

3 Wochen sind vergangen, als wir zurück zum Ort der Tat gehen. Der Kontrollblick ist gefragt. Der Traktor surrt, als ich reinkomme. Flo und Bernd sind gerade am Zusammenpacken und werfen den ersten Blick auf dich. Das „Sauber, das ist echt super geheilt.“ hört Ahab nicht. Zeit für einen Scherz. Bernd: „Alter, das geht ja gar nicht. Warst du besoffen dabei?!“ Und Flo auch: „Haiaiai.“ Ahab schreckt hoch, legt eine Pause mit dem Traktor ein, aufgeregt „Zeig mal“ – ich versuche, ernst zu bleiben, als ich dich deinem Meister ganz langsam hinstrecke. Captain Ahab atmet erleichtert auf „Ihr Schweine!“ zu den Kollegen und zu mir: „Super, da braucht man nix mehr machen. Gefällt es dir immer noch?“ – „Auf jeden Fall! Es ist perfekt und es polarisiert herrlich.“

Du bist freigegeben. Wir sind jetzt eins. Endgültig.

Die Spur des Traktor // under the black flag

Dienstag, August 2nd, 2011

Vor dem Termin.

Auf einmal steht er fest. In weniger als 10 Tagen. Meine Freude ist groß. Bald schon beginne ich zu zählen… „noch 5 mal schlafen…“ Ab „noch 3 mal schlafen…“ werde ich immer aufgeregter und irgendwie auch ungläubig. Stehe immer wieder vorm Spiegel. Es gibt 2 Bilder. Das, was ich sehe und das Bild in meinem Kopf. Wie es aussehen wird. Es ist nahezu so, als spürte ich es. Phantomtattoo.

Ich erzähle nicht vielen von meinem Vorhaben. Eine Freundin, die letzt erst selbst tätowiert wurde, ist ungläubig verblüfft: „Du hast vor dem Termin keinen Entwurf gesehen?“ – „Nein, wir haben das besprochen. Die Entwürfe sehe ich dann, wenn ich da bin und das passt dann schon. Das weiß ich.“ – Schon beim ersten Gespräch waren der Captain und ich wie Zahnräder, die ineinander greifen. Ich erzählte meine Bild-Idee, mein Grundkonzept, er griff es auf, erweiterte es, es passte. Deswegen keinerlei Bedenken meinerseits. Auch wohin es sollte. Als Rookie hätte ich wohl nie „so groß“ gedacht, aber das Umfassende passte perfekt zum Konzept. Erst wollte ich es mir noch überlegen nach dem Erstgespräch. Aber mein Körper hatte sich schon nach den ersten Metern nach Verlassen des Studios entschieden gehabt. Um den Ellbogen. Seitdem ich das wusste, sah ich es oft schon vor meinem inneren Auge.

Der Tag.

Als ich dann am Samstag, den 18. im Monat Juni viel zu früh aufgeregt aufwache, widme ich mich erstmal meinem Ellbogen. Wissentlich, dass bald dieses Gelenk nie wieder so aussehen wird. Ich mache Fotos, später rasiere ich die Stelle mit frischer Klinge. Pflege die Haut.

Ich habe keine Angst und keine Bedenken. Gespannt bin ich nur, wie der Schmerz sein wird. Und ich denke an die bisherigen Schmerzerlebnisse. Es scheint, als könne dieser Schmerz nicht beschrieben werden.

Je näher die Stichstunde kommt, desto aufgeregter bin ich. Meine Lieblingsplaylist auf den Ohren mache ich mich auf den Weg. Das Wetter wechselhaft. Angenehm.

Ich bin tierisch aufgeregt. Als ich das Studio betrete, werde ich ruhiger. Erst begrüße ich Bernd und seine Kundin. „Geht es bei dir weiter?“ fragt er  – „Nee, heute bekomm ich mein erstes!“

Das Strahlen des Captain begrüßt mich. Er hat 2 Blätter mit verschiedenen Schwüngen dabei. Sein Favorit ist auch mein Favorit. Ich „wusste“ es ja schon vorher: das passt einfach. Idee/Konzeption und künstlerische Ausarbeitung im Zusammenspiel. Bestens.

Nach dem Durchpausen geht’s ans Platzieren. Nicht einfach bei diesem Gelenk. Aller guten Dinge sind drei. Dann nehme ich Platz. Lasse mich lenken. Deutscher HipHop klingt aus den Boxen. Ich bin aufgeregt entspannt. Wissentlich, dass mir gleich bewusst wehgetan wird. Aber noch kenne ich den Schmerz nicht, habe keinerlei Vorstellung.

Medizin, Mechanik und Kunst. So kommt mir das bereitgelegte Arrangement vor. Mein Arm gehört dem Captain. Bevor er loslegt, warnt er nochmal: „Ich habe dir gesagt, dass das süchtig macht?!“ – „Ja, hast du.“

Wir fangen an. Ich erlebe den Schmerz. Es ist schon fies, aber lange nicht so schlimm, wie ich es mir vorgestellt habe. Es ist ein tiefes Kratzen. Ein über den Asphalt schlittern. Hinfallen. Vom Skateboard. Vom Fahrrad. Mit dem Motorrad. Der Traktor zieht durch des Captains Hand vom Relais gesteuert seine Linien. Es surrt. Und in meinem Kopf laufen die Szenen meiner übelsten Stürze. Dass ich blute, sehe ich nur am Küchentuch, mit dem Ahab immer wieder überschüssige Flüssigkeit abwischt. Zwischendrin kühlen. Das ist angenehm.

Schaue ich rüber zum anderen Arm, der gerade bei Bernd in Bearbeitung ist, sehe ich das Ringen mit dem Schmerz. Es ist an ähnlicher Stelle wie bei mir aber weitaus aufwändiger.

Ich betrachte die Magnetspule und oftmals spüre ich mehr, dass meine Hand fast einschläft, als dass der Traktor sein Scratching betreibt. Und dann wieder kühlen. Da merke ich erst, wie heiß und sensibel diese Wunde ist. Nach der Feinarbeit der Wechsel des Nadelkopfs.

Schmerz, Kopfkino, Traktor und HintergrundHipHop verschmelzen.

Und auf einmal: fertig. Ich soll gucken. Es ist schön. Es ist toll. Es ist perfekt. Es ist meins. Dann werde ich foliert und mit Malerkrepp fixiert. Pflegeanweisung aufgenommen. Bernd will es sehen. Der Captain und ich verabschieden uns. Und ich freue mich auf das Wiedersehen am Abend.

Ich trete aus dem Studio in das Wechselwetter, frage mich, ob sich die Leute an der Bushaltestelle was denken. Ich laufe den Weg zur Haltestelle. Es brennt sehr.

Feels like scratched over the asphalt.

Mein Ellbogen ist mein kostbares Gut, was es zu hüten gilt. Ja nicht anecken.

Als ich später nach fast 3 Stunden die Folie einem Verband gleich aufschneide, sehe ich die Spuren der Verletzung. Leichte Linien von Wundwasser. Heiß und vorsichtig wasche ich es, danach Trockentupfen und Eincremen. Es brennt. Wie hingefallen.

Der erste Freund, der es zu sehen bekommt, findet es super.

Und ich kann nicht glauben, dass das jetzt wirklich meins ist.

Für immer.

Willkommen zuhause

Tattoo Freestyle

Montag, März 7th, 2011

Die Geschichte vor der Geschichte:

Irgendwo sind sie ja immer. Tattoos. Tatauwierungen. In dem Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin, weniger. Aber spätestens dann mit Beginn des Weggehlebens, der Sympathisierung zur Punk-Szene, waren sie da. Wilde Totenköpfe zum Teil natürlich, aber auch indianische Totem.

Ich selbst bin ja ein Malkind. Im Kindergarten wurden mir sogar meine Bilder vom bösen T. geklaut und er schrieb dann seinen Namen hintendrauf… Unwichtig jetzt. Über Tatauwierungen an mir nachzudenken, begann ich so etwa mit 18. Ich zeichnete viel. In Schulheften, auf Notizzetteln, in den Aufgabenheften. Es waren Versuche, Zeichnungen, Übungen, wie man etwas stilisieren kann, wie man aus einzelnen Formen wieder ein ganzes bildet. Da das so in den frühen 90ern war, weiß ich im Nachhinein nicht, ob derzeit schon die Tribal-Welle angerollt war. Kurz: Ich war nie zufrieden mit meinen Übungen.

Ende der 90er dann begann die Zeit meines Lebens, in der ich immer öfter abtauchte. Eine ideale Kulisse für Tatauwierungen. Das Meer. Boote. Neopren- und Motorgeruch. Sonnengeküsste Haut. Das Gefühl von Freiheit. Besonders eingeprägt hatte sich mir ein Orca auf einem Schulterblatt. Er war wunderschön. Kraftvoll. Für mich gibt es Unterwasser 2 Tiere, die mich ungemein faszinieren: Tintenfische und Haie. Tintenfische wegen ihrer unglaublichen Wandlungsfähigkeit, ihrer Neugier, ihrem Spieltrieb und ihrer Intelligenz – Haie wegen dieser unglaublichen Kraft und Eleganz. Es gibt keinen einzigen Fisch, der sich so schön bewegt, wie ein Hai. Die ersten Haie sah ich 1998 in Thailand in einer Bucht von Koh Tao. Black Tip Reef Sharks. Nicht sehr groß, aber leicht zu beobachten. (Okay, wenn ich jetzt sage, dass die etwa 1,5om waren, dann schreckt der ein oder andere auch schon zurück).

Wir waren damals aber auf der visuellen Jagd nach einem der größten Haie. Einem Walhai. Und wir hatten wirklich das Glück, ein Jungtier von etwa 7 Metern zu gesicht zu bekommen. Ein wunderbarer Tauchgang. Wir waren nur zu fünft bei dem Tauchgang. Und auf einmal war er da. Und man wünscht sich, Kiemen zu haben… Ich schweife ab. Den ersten „richtigen“ Hai sah ich dann im Roten Meer. In der Nähe des Wracks der Salem Express. Ein soundso aufregender Tauchgang. Ein respektvoller Tauchgang. Schließlich waren viele Menschen beim Untergang der Salem Express ums Leben gekommen. Ein tiefer Tauchgang. In Metern und Gefühlen. Wir waren ein bisschen entfernter vom Wrack, als Ina mir Zeichen gab. Ca. 3 Meter groß und in 5 Metern Entfernung war er aus dem Nichts aufgetaucht: ein Hai. Kein Riffhai. EIn richtiger Hai. Und er kam auf uns zu. Jeder Versuch, ruhig zu bleiben, kann nur ein Versuch sein. Der Herzschlag schnellte hoch, einzig bewahrte ich die Kontrolle über Atem und Körper. Er schwamm bis auf 3 Meter auf uns zu und drehte dann wieder ab. Unterwasser ist man es eh, aber wir waren es auch noch an Deck, und das obwohl Ina (mein Buddy) eine extrem erfahrene Tauchlehrerin ist. Ich hatte meinen ersten Hai in seinem Element gesehen in ca 20 Meter Tiefe. Die Folge war, dass ich jahrelang Haie zeichnete.

Anfang der 2000er kam aber dann mehr und mehr noch ein anderes wichtiges Element in mein Leben: das Schreiben. Schreibt man auf einer überschaubaren Online-Plattform, so lernt man sich kennen. Eines Tages stand ich dann bei dem, den ich den Kämpfer nenne, morgens in der Wohnung, wir sahen uns das erste mal in echt und wir redeten über unsere (Lebens-)Philosophien und Erfahrungen und in dem Gespräch fand ich die Antwort auf die ungestellte Frage. Ich hatte das Bild im Kopf, was einmal mein Tatau werden soll.

Die eigentliche Geschichte:

Der Weg zur Galerie „Die Kupferdiebe, der Kunstkiosk“ im Gängeviertel war windig. Ich telefonierte und drückte mich immer wieder in Hauseingänge, um nicht zu erschauern. Auf dem Zickzackkurs vom Neuer Wall zur Caffamacherreihe liefen mir immer wieder 2 Typen über den Weg. Als ich dann nach dem Telefonieren im Kunstkiosk auflief, waren sie auch da und lachten, als sie mich sahen. Kurz drauf schüttelte ich tätowierte Hände. Anstand muss sein.

Es war die Ausstellung von Bernd Muss und mir gefiel sehr, was ich sah. Das Material und die Techniken. Die Motive. Morbide oder auch nach der Weite der See rufend. Und ich sah auch versteckte Tintenfische. Bernd sah ich an dem Abend auch, es wurde mir zugeflüstert „das ist der Künstler“. Und an diesem Abend gab es viel visuell zu entdecken. Bernds überzeichnete Collagen und die Freunde und Bekannten von ihm, die nahezu allesamt deutlich sichtbar tätowiert waren.

Kurz darauf – vielleicht noch in der gleichen Nacht – fand ich mich auf Bernds Webseite wieder und klickte schnell zu Tattoo Freestyle. Die Magie hatte mich ergriffen. Immer wieder fand ich mich auf der Seite rumlungernd. Der Entschluss, mal das Studio zu besuchen, war schnell gefasst, einzig Zeit brauchte es noch. Oder vielleicht auch einen äußerlichen Katalysator. Nach Überarbeitung der Tattoo Freestyle Seite und auch weil Bernd eine neue Ausstellung angekündigt hatte, fand ich mich schon nahezu täglich im virtuellen Tattoostudio wieder. Ich klickte mich durch die Profle und blieb bei Captain Ahab hängen. Das Moko machte mich neugierig. Und ich fragte. Und bekam eine Antwort. Und ich wusste: so bald wie möglich werde ich eine Visite in Harburg machen.

Die Sonne blendete mich, als ich aus dem 443er stieg. Direkt vorm Studio. In der Tür stand im T-Shirt ein aufmerksam beobachtender Mann. Weißes T-Shirt, kurze Haare, markante Gesichtszüge und, klar: tätowiert. In meinem Kopf huschten die Fragen: Ist das Ahab? Sieht etwas anders aus als auf seiner Portfolio-Karte, aber er könnte es sein. „Ich würde gerne mal eintreten und mich umschauen, darf ich?“ Oder so ähnlich trat ich an ihn ran, Sonnenbrille und Mütze abnehmend. Wir gingen rein. Bernds Blondschopf saß hinter der Theke links und war beschäftigt. Dass ich wirklich Captain Ahab vor mir hatte, bestätigte sich schnell. Wir plauderten, sprachen über meine Idee. Ich sog die Atmosphäre ein. Extrem sympathisch. Wohlgefühl. Ich wusste: ich habe mein Studio und meinen Tätowierer gefunden.

Tattoo Freestyle