Was ist das? – Getting used to you

Eigentlich wollte ich nicht, dass du das erste mal im Büro gesehen wirst. Büro. Das heisst dort, wo ich in letzter Zeit mein Geld überwiegend verdiene. Aber es ist nicht irgendein Büro. Es ist vielmehr eine Kanzlei. Zu dem Zeitpunkt, als du Frischling bist, noch eine Bürogemeinschaft von Steuerberatern, Rechtsanwalt und Wirtschaftsprüfer. Und allein anhand der Adresse in nobler Lage der Innenstadt ist klar, dass dort Tataus eher kritisch gesehen werden – können.

Es ist also ein warmer Tag Ende Juni, die Steuerberater und ihr Team sind am Kisten packen für den bevorstehenden Umzug und du hast mitten in deinem Abheilungsprozess nur eins gewollt. Luft. Der schützende Ärmel verlässt dich also. Es dauert eine Weile, bis du als erstes der Office-Managerin ein irritiertes Gesicht entlockst „Was ist das? Was hast du da?“ – ich bin noch unsicher. „Einen Kreis.“ und gehe weiter. Der Anwalt, der derzeit viele meiner Stunden beansprucht, runzelt die Brauen und fragt nur „Ist das irrevesibel?“ – „Ja, ist es.“ – „Okay. Gut zu wissen.“

Den meisten fällst du eher von hinten auf, so ganz offensichtlich bist du ja nicht, auch wenn du dich nicht versteckst. Und dich verstecken geht mit kurzen Ärmeln nicht. Und soll ja auch nicht. Aber du bist eben noch so neu und deswegen muss ich auch erstmal für mich rausfinden wie das geht mit der Selbstverständlichkeit, dich zu haben. Für immer.

Als sich die Mannschaft in der Küche versammelt, wirst du Thema. Von „Warst du betrunken oder dein Tätowierer?“ mit nahezu verständnislosem Kopfschütteln über „Das haste doch selber mit Edding draufgemalt“ bis hin zu „Und was bedeutet das?“ ist alles geboten. Ich merke, dass dieses gefragt werden uns mehr und mehr zusammenwachsen lässt. Dadurch dass du Luft wolltest, muss ich mutig sein, dich zu zeigen. In doch recht konservativer Umgebung. Wobei man das nicht falsch einschätzen darf. Steuerberater ist wirklich ein kreativer Beruf. Er erfordert Flexibilität.

Über 4 Jahre hinweg konnte sich die Mannschaft auch schon an ihre „etwas andere“ Abendsekretärin gewöhnen und hat die Kreativität meinerseits und auch die andere Art der Kommunikation schätzen gelernt.

Du spaltest meine Umgebung.

Die wahrlich konservativen, starren Geister irritierst du. Sie können dich nicht verstehen, mich noch viel weniger und denken sich vielleicht „Eine Tätowierung ist ja schon schlimm, aber dann noch so etwas Unbildliches, so ein Gekrakel…“ Ich weiß es nicht.

Ganz anders ist es, wenn du von meinen Artgenossen gesehen wirst. Die mit kreativem Geist, die eine künstlerische Art haben, die mögen dich. Den Gestaltern, Designern, Textern, Autoren…

Sie hinterfragen dich nicht groß, sind eher von deiner perfekten Unperfektheit fasziniert. Da wird in erster Linie die Grafik bewundert. Du als Kunstwerk. Deine Ausarbeitung. Du regst Gedanken an. Weckst auch Sehnsüchte. Es wird von Ankern, Segelschiffen und Landkarten gesprochen, die unter die Haut gehen sollen. Auch von Family-Gang Tataus. Und das Problem der Gestaltenden, was sie wohl immer haben: Die Entscheidung für die Endgültigkeit und deren Platzierung.

Die Monate ziehen ins Land und wir gewöhnen uns mehr und mehr aneinander. Bei Sonnenschein schütze ich dich unter einem 50+ Film, und immer wieder schaue ich dich an, den Ellbogen verdreht, weil es doch irgendwie manchmal immer noch so unwirklich scheint, dass du jetzt für immer bleibst. Aber es ist so. Und das ist toll.

Mama & Papa

Schon während des Tätowierens fragt Ahab, ob meine Eltern Bescheid wissen. Ich hatte ihm erzählt, dass eins ihrer größten Bedenken bei meinem Neuseelandurlaub Herbst letzten Jahres war, dass ich mit einem Gesichts-Moko wiederkomme. Wohl weil ich so begeistert davon erzählt hatte. Aus Neuseeland kehrte ich ohne Tatau heim.

Und jetzt wissen sie es nicht. Alt genug bin ich ja auch. Als ich es  aufgeregt und stolz Mama die Tage vor und nach dem Stichtag erzählen will, passt es immer nicht. Entweder die Gespräche landen ganz woanders oder sind zwischen Tür und Angel.

Meine Eltern und mein großkleiner Bruder mit Freundin kommen das erste Augustwochenende. Das Wetter ist schön. T-Shirt Wetter.

Man muss schon sagen, dass meine Eltern mit Jahrgang 1936 und 1940 definitiv eine andere Generation sind. So bin ich auch aufgewachsen – was Tattoos anbelangt. Tattoos haben Verbrecher und Asoziale. Dass es davon Ausnahmen gibt, haben meine Eltern zwar durch die Freunde meines großkleinen Bruders auch gelernt, aber die tiefverankerte Einstellung ist nun mal vorhanden. Meine Eltern sind aber nicht nur gesellschaftsorientiert, sondern sie haben auch alle ihre 3 Kinder gewissermaßen streng und doch tolerant erzogen. Uns Bewusstsein für Freiheit und Verantwortung mitzugeben, haben sie meiner Meinung nach erfolgreich geschafft.

Und jetzt also. Das Nesthäkchen, das einzige Mädchen: tätowiert. Meine Mama sieht es als erste. „Was hast du da?“ – „Ich bin tätowiert“ – „Hach Kind, nein, wirklich?“ – „Ja, wirklich. Das bleibt jetzt für immer.“ Papa, durch die Konversation vom Koffertragen abgelenkt: „Was?“ – „Ich bin tätowiert.“ Beide schauen aus der Nähe auf meinen Ellbogen, den ich vorsichtig auf Augenhöhe bringe. Papa glaubt es noch nicht ganz. „Das ist doch draufgemalt.“ – „Nee, das ist mit Tinte und Nadel unter die Haut.“ Er schüttelt lächelnd den Kopf mit seinen 75 Jahren und der entsprechenden Lebensweisheit und auch Gelassenheit. Ich glaube, er ist auch von der Präzision fasziniert, schließlich haben Klischeetattoos im Kopf dicke, ausgeblichene, wacklige Linien. Jaja, damals…

Mama seufzt nochmals. Ich erkläre beiden das warum, meine Begeisterung. Und Mama bleibt zwar etwas nachdenklich, dafür ist aber wenig später eins der ersten Fotos, was sie am Hamburgwochenende macht, von dir. In Close-Up. Als ich es merke, wie sie dich fotografiert, muss ich lächeln.

Du gehörst jetzt zur Familie.

Inzwischen sind wir seit bald 4 Monaten zusammen und du bist selbstverständlich geworden. Ich mag es, wenn du auffällst und wenn ich auf dich angesprochen werde. ich habe eine Palette an Antworten auf Fragen über dich. Je nach Laune.

Und wenn du nicht auffällst, ist auch gut.

Wir haben zueinander gefunden. Sind eins. Und bleiben es.

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