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no pleasure without release

Dienstag, Juli 2nd, 2013

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A German artist and a New Zealander writer meet each other with the idea of a together but without knowing yet what it will be. How to melt art and poem to an artwork which binds the two to one. Days and nights they share their minds, their feelings, their expressions and word by word, line by line, strokes of brush, splashing colours it is building itself. The metamorphosis is not only the topic of the two it is also what happens to them.

Black and brown splashing on paper. Powerful without control. But then a hand draws its lines. Giving the power one direction cumulating the forces which had been released. Letters entering paper, text entering mind, senses hijacked into another world. The air in our lungs are forming our roots for life. Our whole life might be a metamorphosis.

„We are who we are because of what we learn and what we remember“ – Eric Kandel (Neuropsychiatrist)

Bernd Muss and Jeremy Lefebre had their Vernissage „no pleasure without release“ at Tattoo Freestyle III on Saturday, 22nd of June.

I just want to give you an impression of what melting of art happened. The longer text in German down here I wrote for the exhibition. A kind of prologue to dive into their world of expression.

no pleasure without release

// Bernd Muss – Jeremy Lefebre

Wir sind, wer wir sind, auf Grund dessen, was wir lernen und woran wir uns erinnern. – Eric Kandel (Neurowissenschaftler)

Der Tag schlüpft aus der Nacht. Das, was eben noch war, wird Vergangenheit und das Jetzt ist neu. Flüchtig der Moment. Einzig die Gedanken lassen ihn verweilen, bleiben. Schreiben die Erinnerungen. Der Mensch ist im steten Wandel, verändert sich, erneuert sich. Die Biologie spielt mit den Genen und die Erfahrung spielt mit dem Gehirn. Das Herz als Motor, der die Geschwindigkeit bestimmt. Die Luft in den Lungen bilden sich unsere Wurzeln zum Leben. Der Organismus in Bewegung. Von Jahr zu Jahr. Monat auf Monat. Tag für Tag. Stunde um Stunde. Und manchmal sind es die Sekunden, die sich in Unendlichkeit öffnen.

Wir leben. Alltag. Feiertag. Geburtstag. Man richtet sich so ein im Leben. Und lebt. Lebt sein Leben, wie man es sich so eingerichtet hat. Wie es sich so entwickelt hat. Erziehung, Erfahrung, … das Leben bildet. Bildet uns. Und dann?

Auf einmal ein Ziehen. Das so vertraute Leben erscheint distanziert. Manchmal kaum zu merken. Es zwickt nur ein bisschen. Aber geht ja schon. Das Zwicken vergeht wieder. Doch es wird stärker und stärker. Der Geist wird ruhelos, stellt Fragen. Mehr und mehr. Und mehr und mehr wird in Frage gestellt. Es schmerzt und zieht. Das Spüren des Selbst auf eine neue Art, die noch unbekannt ist. Die Entdeckung des Selbst mit anderen Augen und Fragen bohren sich in den Leib, ihn aufzuwühlen und ihm keine Ruhe zu lassen. Die Gedanken winden sich, versuchen zu fliehen, suchen die Ablenkung und doch wissen sie längst: es hat begonnen. Und der Mensch mittendrin. Unwissend, wo es hinführt und wo der Weg ist, die Angst ergreift den Raum und doch gibt es das Wissen: Es muss weitergehen.

Der Boden ist Treibsand. Das Vertraute hält nicht mehr, es schwindet, aufgelöst durch die Fragezeichen. Das größte davon schwebt über dem ICH. Es lässt das Selbst in seinen Grundfesten erschüttern. Legt die Finger in die Wunden der Erinnerung. Suhlt sich im Schmerz und badet im Zweifel. So lange, bis der Wille umlenkt. Zur Erkenntnis kommt. Die Erinnerung ins Leben schreibt und als Erfahrungen frei gibt.

Die Metamorphose beginnt. Ergreift Besitz. Erst langsam, dann immer intensiver. Schritt für Schritt tastet sich die Veränderung voran. Bricht alte Strukturen, verjagt Gewohnheiten und nimmt so die ersten Stufen zur Erneuerung. Auf jedem Absatz wartet die Gewohnheit neben der Erinnerung und fragt „Ist das der richtige Weg? Du kannst auch umdrehen!“ Doch die Veränderung will vorankommen und fordert dabei immer eins: Mut. Das was war, ist sicher. Vertraut. Das, was kommt, ist unsicher. Fremd.

Das Gehirn geht in Lauerstellung, es tastet sich vor. Denkt ins Ungewisse. Der Motor beschleunigt. Mit Mut als Katalysator. Der Puls erhöht. Was jetzt? Springen? Oder langsam gehen? Rückzug? Oder Angriff? Renovierung? Oder Neubau?

Mehr und mehr formen sich Bilder und nehmen auch in Realität Gestalt an. Die Gedanken richten sich ein. Mal unmerklich, mal deutlich spürbar. Das Fremde wird vertrauter. Der Puls ruhiger. Noch einmal tief Luft holen. Das Leben spüren. Und wieder der sein, der man immer war. Mensch.

„Es gibt einige Veränderungen, die von außen bewirkt werden können: aber die größte und wichtigste Veränderung muss innerlich geschehen. Wir müssen uns als Menschen umformen.“ Anaïs Nin, Absage an die Verzweiflung

Jeremy Lefebre und Bernd Muss haben sich die Metamorphose zum Thema geformt, zur Aufgabe gemacht. Mit verschiedenen Medien lassen sie ihre Veränderungen spüren:

Buchstaben erobern Papier, durch den Anschlag der alten Schreibmaschine aufs Papier gebracht. Text nimmt die Gedanken ein, die Sinne sind in eine andere Welt entführt. Die Augen jagen über Farbklekse, die auf das Papier spritzen. Kraftvoll unkontrolliert. Doch dann zeichnet die Hand ihre Linien. Bündelt die Kräfte, die freigelassen wurden.

Die Kraft der Linie.

Dienstag, Februar 5th, 2013

Über Kunst, Mut und Leidenschaft.

 

Um einer Linie Kraft zu geben, braucht es Mut. Den Mut zur Linie. Jeder, der schon mal vor einem weißen Blatt Papier saß und etwas zeichnen sollte, weiß, wieviel Mut es braucht. Mut, die erste Linie zu ziehen. Das Weiß des Papiers zu durchbrechen, aufzubrechen, vielleicht gar zu zerstören.

Als Kind hat man keine Angst. Da werden die Linien gezogen, wie sie aus dem Kopf kommen. Auf Papier, Wand, Haut, Hose – es gibt keine Grenzen. Und keine Angst. Der Stift wird angesetzt und zieht seine Bahn. Zielstrebig. Und wenn das Blatt nicht ausreicht, geht es auf dem nächsten Blatt oder auf dem Tisch weiter. Die Linie erobert ihr Territorium. Selbstbewusst. Dominant. Bei einem Kind sind es wenige Linien, die etwas Großes hervorbringen. Ein Einhorn, ein Haus, ein Löwe, ein Mensch – es spielt keine Rolle, was gezeichnet wird, was gemalt wird. Die Kraft der Linie auf dem Papier macht die Figuren lebendig. Warum? Weil sie von Mut gezogen ist. Mit Leidenschaft.

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Das Spiel mit den Klischees.

Mittwoch, April 11th, 2012

Um ehrlich zu sein, war ich noch nie auf einer Tattoo Convention. Zumindest kann ich mich nicht erinnern. Wenn ich also schon mal auf einer war, dann hat sie keinen nachhaltigen Eindruck bei mir hinterlassen.

Über Ostern war Tattoo Convention in Hamburg. Wohl die einzige Convention dieser großen Stadt und jetzt war ich schon mal neugierig, das zu sehen.

Um aber nicht allein dort rumzueiern, schloss ich mich der Bande von Tattoo Freestyle an. Da Tattoo Freestyle dort keinen Stand hatte, war es also Freizeitvergnügen für die Crew.

Es ist der sonnige Ostersonntag, als wir uns treffen. Erstmal kurz Schlange stehen und durch den Sicherheitscheck – Taschenkontrolle. Dann noch ein bisschen warten, bis man durch die Kasse ist, die ersten Bekannten werden gesichtet und die Meute teilt sich auf. Ein paar rauchen erstmal eine, die anderen dürsten, die nächsten zieht es rein, zu sehen, was es alles so an Ständen gibt.

Ich bin beim letzten Schwung dabei. Verlieren kann man sich eigentlich nicht wirklich, die Markthalle in Hamburg ist nicht so groß.

Das ist also DIE Tattoo Convention in Hamburg. Alle zwei Jahre findet sie statt. Und meines Wissens immer in der Markthalle. Für das Rahmenprogramm auch ideal mit der Bühne. Für das, worum es meiner Meinung nach eigentlich geht – das Tätowieren und Präsentieren von Studios – eher ungeeignet. Stand klebt an Stand, es ist stickig und recht dunkel. Viele der Tätowierer arbeiten wie Bergarbeiter mit Kopflampen. An jedem Stand liegt vorne ein Skizzenbuch zum Rumgrabbeln und schauen, was die Herren und Damen so bieten. Zwischendrin Schmuckstände, Piercingschmuck, T-Shirts, Sea Sheppards, Klamotten und Taschen, Bücher über Tattoos, Ramsch und Tattoofarben- und nadeln.

Überall ist es eng, es ist ein Schieben, Durchrutschen und wirklich Muße und Muse kommen nicht auf. Die, die gerade tätowiert werden, kauen gelangweilt Kaugummi, hören Musik oder bearbeiten ihr Handy. Es fließt Bier und auch wenn es jetzt sprachlich passen würde: Blut fließt nicht wirklich.

Wir gehen in die obere Etage. Hier ist es noch stickiger und es ist wie unten auch reichlich unübersichtlich wer wo wie. Einen Plan habe ich auch nicht gesehen. Wir schieben uns also weiter durch, haben aber auch schnell ein Bedürfnis nach Raum und Luft. In der Eingangshalle treffen wir auch wieder auf einige von der Bande und noch andere Bekannte.

Wenn man sich das Publikum so anschaut, was kommt und geht, so sind es meist recht normale Menschen. Einige Rocker, ein paar Old School Rockabillies, einige Prolls, aber auch viele langweilige Normalmenschen. Uns sehe ich als Kreative an. Von denen gibt’s auch ein paar, aber sie verstecken sich recht gut. Meist dann doch hinter einem der Tische zum Tätowieren.

Tätowierungen kriechen aus dem ein oder anderen Kragen, spitzen aus den ein oder anderen Ärmel, zeigen sich absurd in dem ein oder anderen Gesicht, aber eins ist klar: Hier werden hauptsächlich Klischees erfüllt. Rocker- und Prolltypen. Die wilden Tätowierten.

So sieht es dann auch die Presse wie MOPO „Geile Häute, krasse Leute auf der Tattoo-Convention in der Markthalle“ oder BILD „Corinna sticht ins Auge. – Wird sie Miss Tattoo?“.

Das Schöne, Künstlerische bleibt für mich in der Dunkelheit der Markthalle verborgen. Es findet sich in den Gesprächen mit den Bekannten der Crew oder im gegenseitigen Austausch. Ich frage ungläubig nach, ob das wirklich die einzige Convention in Hamburg ist, und es ist so.

Ich für mich weiß, dass ich zu dieser Convention nicht nochmal hingehen muss. Zu eng, zu gedrängt, zu viel Dunkel. Die Käfighaltung der Tätowierer, die dazwischen gepressten Verkaufsstände… das ist nicht meine Welt. Es ist nicht das, was ich am Tätowieren interessant finde. Die einzelnen Künstler. Die verschiedenen Stile. Wie Kunst unter die Haut gebracht wird. Die Convention in der Markthalle hat für mich keine Atmosphäre und wirkt trotz sicher hygienischer und sauberer Arbeit nicht ästhetisch. Unter diesen Umständen sich für die Ewigkeit an ein Motiv binden? Never.

Ein Bild, was mehrmals an diesem Nachmittag auftaucht, bleibt mir im Gedächtnis. Ein junger Mann, ca Anfang 20 läuft mit nacktem Oberkörper, sichtlich frisch gestochen mit großem Motiv durch die Menge. Begrüßt Freunde, holt sich Bier… Es ist unfassbar. Man sieht die durch die Verletzung geschwollene Haut, die Linien der Nadel wie tiefe Kratzer über seinen Oberkörper. Die Farben verwischt. Keine Folie, keine schützende Schicht von Creme. Er. In der Menge mit diesen Wunden.

Später sehe ich ihn wieder, sehe den Stand und den Tätowierer, es geht weiter. Ich weiß nicht, wer da nicht durchhält. Der Typ die Schmerzen oder der Tätowierer, der den Kunden immer nur partiell erträgt. Als er wieder aufsteht, kann ich erkennen das es ein abstrahierter Wolfskopf auf seinem Oberkörper wird. Vom Stil her schön. Dennoch verstehe ich es nicht, als er – frisch feucht abgewischt, wieder farbverschmiert – wieder seinen Gang vom Stand in die Menge antritt. Wohl wieder Bier holen. Das Tattoo wird noch ewig dauern.

Und wie war das? Man sollte keinen Alkohol getrunken haben vor dem Tätowieren?
Hier gelten wohl andere Regeln. Und wenigstens füttern sie die Klischees von Journalisten und Kameras.

Es ist schade. Tätowieren ist so viel mehr. Ob sie gesellschaftstauglich ist, darüber lässt sich streiten. Es gibt immer noch in den Köpfen fest sitzende Vorurteile, die auch durch Berichterstattungen wie von MOPO oder düstere Conventions auch gefüttert und bestätigt werden.

Es ist Zeit, das Tätowieren aufzuteilen. Klar gibt es die düsteren Rocker, aber es gibt auch die, die Tätowieren mehr als Kunst ansehen. Vielleicht auch als Philosophie.

Schade, dass im Tor zur Welt, wo auch Tattoo-Legenden wie Herbert Hoffmann ihr zuhause hatten, diese Bandbreite noch nicht öffentlich präsentiert wird.

Herbert Hoffmann selbst schildert in einem Interview von 2007 das Mehr beim Tätowieren:

Was ist das? – Getting used to you

Montag, Oktober 10th, 2011

Eigentlich wollte ich nicht, dass du das erste mal im Büro gesehen wirst. Büro. Das heisst dort, wo ich in letzter Zeit mein Geld überwiegend verdiene. Aber es ist nicht irgendein Büro. Es ist vielmehr eine Kanzlei. Zu dem Zeitpunkt, als du Frischling bist, noch eine Bürogemeinschaft von Steuerberatern, Rechtsanwalt und Wirtschaftsprüfer. Und allein anhand der Adresse in nobler Lage der Innenstadt ist klar, dass dort Tataus eher kritisch gesehen werden – können.

Es ist also ein warmer Tag Ende Juni, die Steuerberater und ihr Team sind am Kisten packen für den bevorstehenden Umzug und du hast mitten in deinem Abheilungsprozess nur eins gewollt. Luft. Der schützende Ärmel verlässt dich also. Es dauert eine Weile, bis du als erstes der Office-Managerin ein irritiertes Gesicht entlockst „Was ist das? Was hast du da?“ – ich bin noch unsicher. „Einen Kreis.“ und gehe weiter. Der Anwalt, der derzeit viele meiner Stunden beansprucht, runzelt die Brauen und fragt nur „Ist das irrevesibel?“ – „Ja, ist es.“ – „Okay. Gut zu wissen.“

Den meisten fällst du eher von hinten auf, so ganz offensichtlich bist du ja nicht, auch wenn du dich nicht versteckst. Und dich verstecken geht mit kurzen Ärmeln nicht. Und soll ja auch nicht. Aber du bist eben noch so neu und deswegen muss ich auch erstmal für mich rausfinden wie das geht mit der Selbstverständlichkeit, dich zu haben. Für immer.

Als sich die Mannschaft in der Küche versammelt, wirst du Thema. Von „Warst du betrunken oder dein Tätowierer?“ mit nahezu verständnislosem Kopfschütteln über „Das haste doch selber mit Edding draufgemalt“ bis hin zu „Und was bedeutet das?“ ist alles geboten. Ich merke, dass dieses gefragt werden uns mehr und mehr zusammenwachsen lässt. Dadurch dass du Luft wolltest, muss ich mutig sein, dich zu zeigen. In doch recht konservativer Umgebung. Wobei man das nicht falsch einschätzen darf. Steuerberater ist wirklich ein kreativer Beruf. Er erfordert Flexibilität.

Über 4 Jahre hinweg konnte sich die Mannschaft auch schon an ihre „etwas andere“ Abendsekretärin gewöhnen und hat die Kreativität meinerseits und auch die andere Art der Kommunikation schätzen gelernt.

Du spaltest meine Umgebung.

Die wahrlich konservativen, starren Geister irritierst du. Sie können dich nicht verstehen, mich noch viel weniger und denken sich vielleicht „Eine Tätowierung ist ja schon schlimm, aber dann noch so etwas Unbildliches, so ein Gekrakel…“ Ich weiß es nicht.

Ganz anders ist es, wenn du von meinen Artgenossen gesehen wirst. Die mit kreativem Geist, die eine künstlerische Art haben, die mögen dich. Den Gestaltern, Designern, Textern, Autoren…

Sie hinterfragen dich nicht groß, sind eher von deiner perfekten Unperfektheit fasziniert. Da wird in erster Linie die Grafik bewundert. Du als Kunstwerk. Deine Ausarbeitung. Du regst Gedanken an. Weckst auch Sehnsüchte. Es wird von Ankern, Segelschiffen und Landkarten gesprochen, die unter die Haut gehen sollen. Auch von Family-Gang Tataus. Und das Problem der Gestaltenden, was sie wohl immer haben: Die Entscheidung für die Endgültigkeit und deren Platzierung.

Die Monate ziehen ins Land und wir gewöhnen uns mehr und mehr aneinander. Bei Sonnenschein schütze ich dich unter einem 50+ Film, und immer wieder schaue ich dich an, den Ellbogen verdreht, weil es doch irgendwie manchmal immer noch so unwirklich scheint, dass du jetzt für immer bleibst. Aber es ist so. Und das ist toll.

Mama & Papa

Schon während des Tätowierens fragt Ahab, ob meine Eltern Bescheid wissen. Ich hatte ihm erzählt, dass eins ihrer größten Bedenken bei meinem Neuseelandurlaub Herbst letzten Jahres war, dass ich mit einem Gesichts-Moko wiederkomme. Wohl weil ich so begeistert davon erzählt hatte. Aus Neuseeland kehrte ich ohne Tatau heim.

Und jetzt wissen sie es nicht. Alt genug bin ich ja auch. Als ich es  aufgeregt und stolz Mama die Tage vor und nach dem Stichtag erzählen will, passt es immer nicht. Entweder die Gespräche landen ganz woanders oder sind zwischen Tür und Angel.

Meine Eltern und mein großkleiner Bruder mit Freundin kommen das erste Augustwochenende. Das Wetter ist schön. T-Shirt Wetter.

Man muss schon sagen, dass meine Eltern mit Jahrgang 1936 und 1940 definitiv eine andere Generation sind. So bin ich auch aufgewachsen – was Tattoos anbelangt. Tattoos haben Verbrecher und Asoziale. Dass es davon Ausnahmen gibt, haben meine Eltern zwar durch die Freunde meines großkleinen Bruders auch gelernt, aber die tiefverankerte Einstellung ist nun mal vorhanden. Meine Eltern sind aber nicht nur gesellschaftsorientiert, sondern sie haben auch alle ihre 3 Kinder gewissermaßen streng und doch tolerant erzogen. Uns Bewusstsein für Freiheit und Verantwortung mitzugeben, haben sie meiner Meinung nach erfolgreich geschafft.

Und jetzt also. Das Nesthäkchen, das einzige Mädchen: tätowiert. Meine Mama sieht es als erste. „Was hast du da?“ – „Ich bin tätowiert“ – „Hach Kind, nein, wirklich?“ – „Ja, wirklich. Das bleibt jetzt für immer.“ Papa, durch die Konversation vom Koffertragen abgelenkt: „Was?“ – „Ich bin tätowiert.“ Beide schauen aus der Nähe auf meinen Ellbogen, den ich vorsichtig auf Augenhöhe bringe. Papa glaubt es noch nicht ganz. „Das ist doch draufgemalt.“ – „Nee, das ist mit Tinte und Nadel unter die Haut.“ Er schüttelt lächelnd den Kopf mit seinen 75 Jahren und der entsprechenden Lebensweisheit und auch Gelassenheit. Ich glaube, er ist auch von der Präzision fasziniert, schließlich haben Klischeetattoos im Kopf dicke, ausgeblichene, wacklige Linien. Jaja, damals…

Mama seufzt nochmals. Ich erkläre beiden das warum, meine Begeisterung. Und Mama bleibt zwar etwas nachdenklich, dafür ist aber wenig später eins der ersten Fotos, was sie am Hamburgwochenende macht, von dir. In Close-Up. Als ich es merke, wie sie dich fotografiert, muss ich lächeln.

Du gehörst jetzt zur Familie.

Inzwischen sind wir seit bald 4 Monaten zusammen und du bist selbstverständlich geworden. Ich mag es, wenn du auffällst und wenn ich auf dich angesprochen werde. ich habe eine Palette an Antworten auf Fragen über dich. Je nach Laune.

Und wenn du nicht auffällst, ist auch gut.

Wir haben zueinander gefunden. Sind eins. Und bleiben es.

under my skin…

Samstag, September 17th, 2011

First day.


Du bist frisch. Und ich sorge mich um dich. Als du der Folie befreit und heiß gewaschen bist, tupfe ich dich vorsichtig trocken. Du brennst, aber du scheinst keine Wunde zu sein. Einzig geschwollen die Haut, die von Nadel und Farbe durchdrungen. Ich lasse dir erstmal etwas Luft.

Später nehme Ich die Heilsalbe – etwas zu viel – und ziehe deine Linie nach. Vorsichtig. Behutsam. Solange bis ich wieder aus dem Haus gehe, bleibst du frei. Vorsichtig gleitet der frische Stoff meiner grauen Hoodiejacke über dich. Behutsam schlängele ich dich in den Ärmel der Regenjacke. Wir gehen raus.

Du bist präsent, ohne präsent zu sein. Ich spüre dich. Ich weiß, dass du da bist, auch wenn es unwirklich scheint. Wir fahren U-Bahn, fahren S-Bahn. Ich ziehe dich nahe an mich ran, dass dich ja keiner anstossen kann. Die verregnete Altonale ist unser erstes Ziel. Kurz einen Ingwertee trinken, es ist stickig und warm drinnen und du willst wieder an die Luft. Ich gebe sie dir.

Holger sieht dich und ist begeistert, schaut genauer hin. Will deine Linie nachfahren, aber ich schütze dich „Nein! Das ist doch ganz frisch!“ Er ist begeistert. Von deinen Linien. Von deiner gewollten Unperfektheit, die perfekt ist.

Du schlüpfst wieder in den Ärmel und wir machen uns auf zum Zwohören nach Wilhelmsburg. Findus spielt. Als wir ankommen, ist der Gig schon in vollem Gange. Ich freue mich, Ahab und Bernd wiederzusehen. Holger macht Ahab ein Kompliment für dich.

Nach einem schönen Abend kommt die erste Nacht mit dir. Ich wasche dich nochmals, und infolge wieder zum Schutz die Heilsalbe. Du störst mich nicht in der Nacht, dennoch schlafe ich unruhiger, schließlich will ich dich nicht verletzen.

Healing days.


Auch wenn ich dich zuhause immer nackt trage, einzig unter dem Schutzfilm der Salbe, so will ich dich im Büro noch nicht zeigen. Einzig meine befreundete Kollegin, die von deinem Termin wusste, bekommt dich zu sehen. Sie ist über deine Schlichtheit überrascht.

Am Abend läuft grad „I got you under my skin“ im Radio als du das nächste mal gesehen wirst. Ich grinse breit.

Fast jeder lange Ärmel den ich die nächsten Tage trage, bekommt einen Fettfleck von der Bepanthen. Macht nix, kann man waschen. Wichtiger ist, dass es dir gut geht. Das Prozedere wird zum Täglichen. Erst Händewaschen, dann dich waschen. Dir Luft geben, dich später dann wieder in den Schutz der Heilsalbe hüllen. Nach ein paar Tagen beginnst du zu jucken. Ich bin zum Glück niemand, der an Wunden kratzt und mich wundert auch fast, dass du keinen sicht- oder spürbaren Schorf gebildet hast. Du machst dich gut. Aber das Jucken nervt. Auch wenn es zeigt, dass du heilst. Am etwa zehnten Tag ist es warm im Büro und zudem werden Umzugskisten gepackt. Ich trau mich erst nicht, dich zu entblößen, aber Ly macht die klare Ansage: „du hast es dir bewusst an dieser Stelle gesetzt, also steh dazu.“ Es dauert ein bisschen, bis dich jemand sieht. „äh, was ist das?“ Und auch Fragen wie: „Geht das wieder weg?“ begutachten dich. Du wirst in dem doch eher konservativen Umfeld nicht ganz verstanden. Bist zu abstrakt. Bei einer gemeinsamen Pause in der Küche erkläre ich dein Konzept. Es verbündet uns und zeigt den anderen, das wir zusammen gehören.

Du polarisierst, wirst du gesehen. Viele verstehen deinen Minimalismus nicht, andere finden dich zu groß aber du weckst auch Faszination.

Du heilst. Spürbar. Das Jucken nervt wirklich. Um dem Ruhe zu geben, ziehe ich manchmal hauchdünne Cremelinien über dich.

Nach etwa 2 Wochen häutest du dich. Der leichte Schorf, den du gebildet hattest, verliert sich mehr und mehr. Nie reiben, immer nur trockentupfen. Oft frage ich mich, wie es die Tätowierten machen, deren Tataus an schwer erreichbaren Stellen platziert wurden.

3 Wochen sind vergangen, als wir zurück zum Ort der Tat gehen. Der Kontrollblick ist gefragt. Der Traktor surrt, als ich reinkomme. Flo und Bernd sind gerade am Zusammenpacken und werfen den ersten Blick auf dich. Das „Sauber, das ist echt super geheilt.“ hört Ahab nicht. Zeit für einen Scherz. Bernd: „Alter, das geht ja gar nicht. Warst du besoffen dabei?!“ Und Flo auch: „Haiaiai.“ Ahab schreckt hoch, legt eine Pause mit dem Traktor ein, aufgeregt „Zeig mal“ – ich versuche, ernst zu bleiben, als ich dich deinem Meister ganz langsam hinstrecke. Captain Ahab atmet erleichtert auf „Ihr Schweine!“ zu den Kollegen und zu mir: „Super, da braucht man nix mehr machen. Gefällt es dir immer noch?“ – „Auf jeden Fall! Es ist perfekt und es polarisiert herrlich.“

Du bist freigegeben. Wir sind jetzt eins. Endgültig.