Ein Buch, sein Autor und eine Leserin.

gottespartitur

 

Warum eigentlich „Die Gottespartitur“ von Edgar Rai?

Ich hätte das Buch wahrscheinlich nie gelesen. Wäre wohl nie drauf aufmerksam geworden außer durch Zufall. Gibt es Zufall? Oder doch nur Schicksal?

Ein Freund von mir wohnt in Lübeck. „Auf der Insel“. Altstadt. Letztes mal hatte es nicht geklappt, deswegen wollte ich dieses Mal auf jeden Fall dabei sein. Bei der Kiesauer Literaturnacht in Lübeck. Dass ich DEN Autor und DAS Buch kennen gelernt habe lag auch nur daran, dass eben er bei T gelesen hat. Und nicht jemand anderes.

Ich war neugierig. Lesungen direkt vom Autor finde ich immer spannend. Wie präsentiert jemand sein Buch? Liest er nur vor? Inszeniert er es? Inszeniert er sich? Wieviel vom Drumherum wird erzählt? Und wie ist das Buch? Werde ich es lesen wollen?

Die Beschreibung des Buchs fand ich interessant. Das Foto vom Autor fand ich nicht so ansprechend. Egal. Ich wollte auf jeden Fall zur Lesung in T’s Wohnung.

 

Mit einer Freundin ging es von Hamburg nach Lübeck, ein entspannter Wochenendausflug. T holte uns am Bahnhof ab und wir legten erstmal die Taschen bei ihm ab. Ein kleiner Stadtrundgang – T setzte uns in einem Kaffee ab, um dann schnell nach Hause zu gehen und den Rest für die Lesung vorzubereiten. Lübeck ist ein schönes Städtchen. Es erinnert mich ein bisschen an Brügge. Wir sind im Zickzack zu T’s Wohnung zurück gelaufen. Und waren mit die ersten, die hochkamen. Und da war er also. Edgar Rai. T hatte schon gesagt, dass er groß ist. Angenehm überrascht war ich, einen Mann zu sehen, der besser als auf dem Foto aussieht. Sympathischer.

 

Die Lesung, der Autor und das Publikum.

25 verkaufte Tickets und ein durchmischtes Publikum. Die meisten älteren Semesters, wenige so um die 40 Jahre. Zum Teil extravagant, zum Teil alternativ, auch ganz normal – auf jeden Fall alle interessiert.

Edgar Rai machte erst eine Einführung, plauderte über das Buch und dies und das – ein sehr angenehmer Einstieg. Sympathisch.

Dann begann er zu lesen. Gute Stimme. Die vorgelesenen Zeilen entführen mich. Lassen Bilder erscheinen. Ich sehe ihn, wie er liest, folge ihm, studiere ihn und gleichzeitig bin ich am Ort des Geschehens in seinem Buch. Immer mal wieder muss ich lachen. Mir gefällt, was ich höre.

Schnell fliegt die Zeit und als er den Part des Vorlesens beendet, spüre ich deutlich in mir den Drang „mehr!“. Ok, das Buch werde ich also lesen müssen.

Fragen und Antworten füllen noch einige Minuten. Sehr spannend. Vor allem für mich, die ich auch schreibe. Wenn auch bisher keine Bücher. Er ist sehr offen und gibt gerne Antwort und Auskunft. Ein guter Austausch zwischen Autor und Zuhörern.

Dass Edgar so eine Buchschreibmaschine ist, ist beeindruckend, wenn auch nicht einschüchternd. Ich sage Edgar, ohne zu wissen, wer er wirklich ist. Der geheimnisvolle Mann mit 4 Künstlernamen.

Nachdem die meisten Gäste gegangen sind, bleiben nur die Gastgeber, der Autor und wir 3 Frauen zurück. Schauen noch kurz unten in der Wohnung vorbei und gehen dann zusammen zum Treffpunkt aller Literaturnacht Beteiligten. Ein Nachtspaziergang durch Lübeck mit weiterem Gespräch mit dem entspannten Herrn Rai.

Im Kartoffelkeller setzen wir uns zusammen an die Ecke eines Tischs und weiter geht die Unterhaltung und der Austausch. Danke nochmals für Wasser und Wein.

 

Das Buch und ich.  

Ich kaufe das Buch wenige Tage später und da ich es nicht mag, immer nur wenige Seiten zu lesen, wartet es ein paar Tage, bis es am ersten richtigen Sonnentag mit mir in den Park geht. Dadurch, dass Edgar einiges vorgelesen hat, habe ich gewissen Vorsprung – einzig den Herzanfall lese ich nach. Dann weiter im Text. Und wie schon beim Zuhören: schnell tauche ich ein. Ich mag den Stil und ich mag, was ich lese, welche Geschichten vor meinem inneren Auge spielen.

Bis zur Hälfte des Buchs komme ich, dann geht die Sonne weg. Wieder heißt es warten. Weil: ich lese ja ungern nur 5 Seiten. Das nächste Wochenende. Und wieder der Sonntag. Schließlich bin ich durch. Bin durch die Literaturwelt gestreift und durch die heiligen Gänge geschlichen. Habe ehrfurchtsvoll alte Handschriften in Händen gehalten und war an zwei Orten gleichzeitig. Die Protagonisten haben Gestalt angenommen. Ich habe mit ihnen den Moment gelebt. Erlebt. Und dann liest man den letzten Satz. Das Buch ist zu Ende. Und langsam kommst du in die Realität zurück. Denkst an die Literaturnacht und an das, was du gerade gelesen hast.

Es lässt mich lächeln. Er lässt mich lächeln. Es ist ein Lächeln, was von innen kommt, etwas Tiefes, Konspiratives hat. Es überfällt einen. Ergreift Besitz von den Lippen, lenkt sie. Ich spüre die Spannung auf den Lippen, die etwas zu trocken sind. So intensiv ist das Lächeln. Wie gesagt: es kommt von innen. Ein gutes Gefühl. Tiefe Zufriedenheit. Der pure Moment.

Ich habe oft gelächelt, während ich das Buch gelesen habe, manchmal auch gelacht. Es hat so einige Sequenzen, die ich mir am liebsten angemarkert hätte.

Ich denke, jeder findet so seinen Moment in dem Buch, der zu ihm passt. Zum eigenen Leben passt. Oder zu den eigenen Träumen passt.

Kopfkino oder Wirklichkeit…

„Sie schiebt sich an ihm vorbei, und dann weiß er, was an ihr sich verändert hat und weshalb er es eben nicht sagen konnte. Es betrifft das Kleid unter ihrem Mantel. Sie trägt es nicht mehr. Er schließt die Tür. Aus dem Bad fällt ein Lichtstreifen ins Zimmer. Von draußen kommt noch eine Prise Halbmond hinzu. Der Rest ist wärmende Dunkelheit.

Sie stellt ihre Handtasche auf den Stuhl, verharrt einen Moment, lässt den Mantel von den Schultern gleiten und ist nur noch von ihren Schuhen und einem schwarzen Seidennegligé bekleidet. Sie lächelt dieses Lächeln, das eine Frau nur hinbekommt, wenn sie sich vor dir entblößt, sich dir darbietet, volles Risiko geht. Die Tat an sich verdient bereits Verehrung und sollte jeden Mann Dankbarkeit lehren.“

 

Und worum geht es eigentlich?

Den Einblick in das Leben eines misanthropischen und übellaunigen Literaturagenten, der wohl etabliert in der Literaturwelt Fäden zieht, umworben und belästigt wird. Es scheint als würde einzig seine Assistentin ihm das (Arbeits-)Leben erträglich machen. Und dann kommt da dieser junge Mann mit diesen diffusen Andeutungen. Erst ignoriert der Agent ihn, doch dann gibt es den Moment, der alles ändert. Und der Literaturagent wandelt sich zum Geheimagent, der sich seiner Jugend erinnert und sich der Herausforderung des Geheimnisses stellt. Weg von der Literaturwelt hin zu einer Art Suche nach dem heiligen Gral. Akribisch folgt er den Spuren, bis er ein ganzes Bild entstehen lassen kann. Er schreibt seine eigene Geschichte, ohne sie zu schreiben.

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http://www.berlinverlag.de/buecher/die-gottespartitur-isbn-978-3-8270-1149-7

 

 

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